„Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,

Nur tierischer als jedes Tier zu sein.“ (1)

Die G13 – Bar (je)der Vernunft ist ein Redesign-Object und/oder ein Objet trouvé zur Belebung von Verständigungsprozessen über die Zukunft von Gesellschaft. Sie beherbergt dreizehn Flaschen, symbolisch gefüllt mit landestypischen Getränken jener 13 Länder, die mehr Ressourcen verbrauchen als ihnen unsere Erde zur Verfügung stellt. Die Größe der Flasche zeigt das Ausmaß von Verschwendung.

Anlass 

 

Eines Tages fauchten die Lüfter des in die Jahre gekommenen G5-Computers (2) meines Vaters auf und kurz darauf quittierte dieser seinen Dienst. Meine Aufgabe als Familien-Administrator bestand darin, einen Ersatzrechner gleicher Bauart zu beschaffen, um Kompatibilitätsproblemen entgegenzuwirken. eBay, Bremerhaven, Transport durch einen dort arbeitenden Freund – alles lief problemlos. Die Rechner und deren Festplatten wurden getauscht und alles ging seinen gewohnten Gang.

Optionen 

 

Übrig blieb ein Quader aus Aluminium (Ordnungszahl 13 im Periodensystem der Elemente), gefüllt mit Eisen, Kupfer, Kunststoffen und seltenen Metallen. 20 kg Schrott, wirklich Schrott?

 

Der Energieverbrauch zur Herstellung einer Tonne Aluminium ist viermal so hoch wie bei einer Tonne Papier, zehnmal so hoch wie bei einer Tonne Weißblech und 27-mal so hoch wie bei einer Tonne Glas, ca. 15.700 kWh. Aluminium-Recycling erfordert nur 5 Prozent dieser Energie. (3) Das Einschmelzen alter G5-Rechner schien somit eine Option zu sein.

 

Mein Freund aus Bremerhaven stellte den von ihm transportierten Ersatz-Rechner mit der Bemerkung ab, aus dem alten Computer könne man doch noch eine Hausbar bauen. Umnutzung, eine weitere Option.

Umnutzung 

 

Ökonomischer und ökologischer Mehrwert durch Umnutzung entsteht dort, wo ausrangierte Gegenstände fern ihres ursprünglichen Verwendungskontextes weiter genutzt werden können und dadurch Neuanschaffungen verhindert werden. Voraussetzung ist die Notwendigkeit von Anschaffungen.

 

Ist eine Hausbar notwendig? Wahrscheinlich nicht, da weder der Konsum von Alkohol noch die Aufbewahrung von Spirituosen in einem gesonderten Korpus zwingend erforderlich sind. Die Frage bräuchte so nicht beantwortet werden, wenn aus dem Redesign-Object ein Objet trouvé würde, ein Alltagsgegenstand, der wie ein Kunstwerk behandelt wird. Kunst stellt die Frage nach dem praktischen und somit auch nach dem ökologischen Nutzen nicht, obgleich Künstler nicht nur ihrem Talent, sondern auch der Gesellschaft und zwar einer sozial gerechten, ökologisch ausgerichteten sowie friedlichen Gesellschaft verpflichtet sind.

Umsetzung 

 

Der Entwurf für die Umgestaltung des G5-Computers zur Spirituosen-Bar war schnell erstellt, vor der Umsetzung graute mir jedoch. Ich war daher sehr glücklich, dass ich meinen Vater (83) frühzeitig für die Realisierung des Projektes gewinnen konnte. Der studierte Flugzeugkonstrukteur und leidenschaftliche Bastler stellte sich den zahlreichen Herausforderungen mit viel Engagement. Von großem Nutzen erwies sich seine „Technologische Sammlung“, bestehend aus tausenden Schrauben, Blechen und Profilen, die alle „schon wissen wie es geht“ (4).

Kommunikation 

 

Kunst benötigt Kommunikation und daher benötigt Kunst auch Öffentlichkeit: Ohne Öffentlichkeit kann Kunst nicht als solche wahrgenommen werden und ohne Kommunikation kann Kunst keine gesellschaftlichen Verständigungsprozesse initiieren. In Anknüpfung an den Geist der Kunst- und Designbewegungen der 1980er-Jahre will die Bar (je)der Vernunft nicht als Designobjekt für „das Wohnzimmer“ verstanden werden, sondern als Beitrag zu den Verständigungsprozessen über die Zukunft von Gesellschaft.

Die Bar (je)der Vernunft wurde für den 8. Deutschen RecyclingDesignpreis 2017 (5) eingereicht und von der Jury als Exponat zur Ausstellung im Marta (6) ausgewählt.

Öko-Logisch? 

 

Unsere Erde kann dem auf Wirtschaftswachstum und Konsum ausgerichteten Lebensstil ihrer Bewohner nicht mehr standhalten. Wir fällen mehr Bäume als nachwachsen können und produzieren mehr Kohlenstoffdioxid als die Ozeane und Wälder absorbieren können. (7) Wir? Wer sind „Wir“ und „wenn ja, wie viele?“ (8)

 

Mit 3 Billionen Tonnen Öl jährlich hat China den höchsten Primärenergieverbrauch der Welt (9) und führt folgerichtig auch die Liste der „Emissionare“ an. Über 10 Mio. Kilotonnen Kohlenstoffdioxid steigen jedes Jahr von chinesischem Boden in die Atmosphäre. (10) Trägt China somit die Hauptschuld am Klimawandel? Eine naheliegende aber falsche Vermutung, da ein erheblicher Teil der in der Volksrepublik produzierten Waren in die USA, nach Europa und in andere Regionen der Welt exportiert wird. (7)

Ökologischer Fußabdruck 

 

Die Forschungsorganisation „Global Footprint Network“  berechnet seit über zehn Jahren den ökologischen Fußabdruck (11), die Fläche auf der Erde, die notwendig ist, um den länderspezifischen Lebensstandard eines Menschen dauerhaft zu ermöglichen und beantwortete so auch 2017 die Frage: Wie viele Erden bräuchten wir, wenn alle Menschen der Welt so leben würden wie die Bewohner von…

5,2

5,0

3,4

3,4

3,2

3,1

3,0

3,0

2,9

2,6

2,4

2,1

1,8

Australien

USA

Südkorea

Russland

Deutschland

Schweiz

Frankreich

U.K.

Japan

Italien

Spanien

China

Brasilien

Die Bar (je)der Vernunft beherbergt stellvertretend für jeden der 13 Mehrverbraucher, deren Bewohner mehr als eine Erde benötigen würden, eine landestypische Spirituose. Die Größe der Flasche steht für das Ausmaß von Verschwendung.

Laster, Sünden & Dummheit 

 

In der griechischen Mythologie wird das Goldene Zeitalter durch das Öffnen der Büchse der Pandora beendet. Seither erobert das Schlechte die Welt, indem sich Laster und Untugenden frei entfalten. Glaubt man der klassischen Theologie, so entstehen alle Sünden aus den sieben schlechten Charaktereigenschaften: Übermut, Habgier, Begehren, Rachsucht, Völlerei, Missgunst und Ignoranz. Beide Ansätze könnten die gnadenlose Ausbeutung unseres Planeten erklären.

 

Dies geht natürlich auch zeitgemäßer. Stephen Hawking bringt die menschliche Dummheit ins Spiel und konstatiert, dass Umweltverschmutzung, gekoppelt mit menschlicher Gier und Dummheit, immer noch die größte Bedrohung für die Menschheit darstellen (12). Noam Chomsky macht einen „Kapitalismus ohne menschliches Antlitz“ für die existenziellen Probleme unsrer Zeit verantwortlich (13).

Hoffnung? 

 

Sieht man im Korpus der Bar (je)der Vernunft ein Gleichnis zur Büchse der Pandora, so befindet sich in ihr noch ein Übel, die Hoffnung, die konnte damals nicht mehr entweichen, bevor die Büchse wieder geschlossen wurde. Nietzsche behauptet, dies sei geschehen, damit der gequälte Mensch sein Leben nicht wegwerfe, gibt aber zu bedenken: die Hoffnung ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert. (14)

 

Da Nietzsche sich nicht mehr wehren kann, gestatte ich mir seine Gedanken fortzusetzen: die Hoffnung, alles könne weiter gehen wie bisher, wird der Gewissheit weichen müssen, dass ohne ein rigoroses Umdenken in absehbarer Zeit auf unserem Planeten kein lebenswertes Dasein mehr möglich sein wird.

 

* * *

Konzeption, Design und Umsetzung:

Jan & Klaus Petzold, unterstützt von Jölund Asseng 

Produktfotos: Uwe Schlüter, www.schlueter-fotodesign.de